Uralte Bierstile und Brauarten leben auf
... oder „Wie die Reckendorfer Schlossbrauerei zu der Weltneuheit eines OMNIUM-Sudhauses kam“
In Reckendorf in den Haßbergen ist nämlich vor wenigen Wochen eine Weltneuheit eingezogen: Sie heißt „Omnium“, ist in der Reckendorfer Schlossbrauerei zu finden und ersetzt als weltweites Pilotprojekt das in die Jahre gekommene alte Sudhaus. Braumeister und Inhaber Dominik Eichhorn geht damit einen völlig neuen Weg in Sachen Nachhaltigkeit und setzt trotzdem auf handwerkliche Brautradition.
So werden dank des neuen Verfahrens alle für den Brauprozess nötigen Rohstoffe auf neue Art und Weise genutzt. Statt eines klassischen Läuterbottichs arbeitet nun „Nessie“ mit einer absteigenden Folge von vier Trommeln. In ihnen kann das Malz neben seiner Stärke auch nahezu alle Mineralien und Proteine an die Bierwürze abgeben, was für mehr Aroma sorgt. Durch diese Brauart kann Eichhorn wieder alte historische Getreidesorten für seine Biere verwenden. Auch beim Hopfen gibt es eine Neuerung: Hier wird die Bierwürze in einem eigenen Gefäß bei niedrigeren Temperaturen mit Hopfen versetzt, was ebenfalls zu wesentlich mehr Aromen führt. Selbst beim Wasser spart die Brauerei nun einen guten Teil der früher benötigten Menge ein und entlastet so die Umwelt. Das neue Sudhaus in Reckendorf wird auch bei der diesjährigen „BrauBeviale“ in Nürnberg, der wichtigsten internationalen Bier-Fachmesse, zu den Vorzeigeobjekten gehören. Dafür wird eigens ein Shuttleservice nach Reckendorf eingerichtet (www.recken.de).
Hintergrundstory
Vor fast 90 Jahren hatte Georg Dirauf, der Großvater von Dominik Eichhorn, stolz die Schloßbrauerei übernommen. Damals brauten die dortigen Braumeister schon seit 400 Jahren Bier, allerdings in eher kleinem Maßstab: 40.000 Liter pro Jahr. Bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von 400 Litern gerade genug für 100 durstige Kehlen. An einem Seidlapreis von 36 Pfennigen war so nicht viel zu verdienen. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Brot kostete 39 Pfennige. Grund genug für Georg Dirauf, den Laden in Schwung zu bringen, was er in den folgenden 20 Jahren auch schaffte und 1952 vom Pächter zum Eigentümer wurde. Ein Jahrzehnt später konnte er stolz sein neues Sudhaus einweihen – der Höhepunkt in jedem Brauerleben.
Als kleiner Junge wuselte sein Enkel Dominik damals gerne quirlig durch die Brauerei – für ihn ein riesengroßer Abenteuerspielplatz. Diese Tage hat er bis heute nicht vergessen. Denn auch wenn aus dem kleinen Buben mittlerweile ein gestandener Brauingenieur und Biersommelier geworden ist, hat er sich stets den Stolz und den Spaß der alten Tage in seiner Familienbrauerei bewahrt. Nach der Ausbildung und einem Arbeitsjahr in einer japanischen Brauerei übernahm er mit 28 Jahren das Ruder in Reckendorf und führte so das großväterliche Erbe fort. Doch in den letzten Jahren bereiteten zwei Dinge dem Braumeister Sorgen: Es waren kaum noch Ersatzteile für das alte Meisterstück zu bekommen, und die Energie- und Umweltbilanz verschlechterte sich zunehmend.
Also machte sich Dominik Eichhorn vor gut drei Jahren auf die Suche nach einem passenden Ersatz. Nach dem Besuch zahlreicher Kollegen, Messen und Sudhausbauer war er nicht überzeugt, einen wirklichen Schritt nach vorne machen zu können. Zu nahe waren die „neuen“ Sudhäuser an dem, das er zuhause in seiner eigenen Brauerei stehen hatte. So landete Eichhorn schließlich im November 2015 auf der Nürnberger Braumesse am Stand des fränkisch-schwäbischen Sudhausbauers Ziemann und lernte dort den Cheftechnologen Klaus Wasmuht kennen. Der gebürtige Bamberger hatte mit seinen Erfindungen gerade erst einen Innovationspreis für Sudhaustechnik gewonnen und war dabei, seine Ideen weiterzuentwickeln. Aus dem kurzen Messegespräch wurde ein sehr langes, weitere Treffen und auch viele Seidla Bier folgten. Beide einte dieselbe Frage: Wie kann man die seit über 100 Jahren perfektionierte Brautechnologie mit der Rückbesinnung auf alte Traditionen auf eine gänzlich neue Schiene bringen?
Nun, sie wälzten also alte Brauhandbücher, Eichhorn erzählte von den Geschichten seines Opas, und nach und nach reifte der Plan für ein echtes Novum: Das Omnium-Sudhaus, das mit allen Traditionen bricht: Gefäße, Reihenfolge, Temperaturen, Energie- und Rohstoffeinsatz, all das konnte und musste von den beiden neu gedacht werden. Außerdem sollte ein Braumeister bei dem neuen Konzept wieder an jeder Stelle eingreifen und seine Handwerkskunst zeigen können. Die Planung dauerte bis zum Ende des letzten Jahres. Seit Anfang Januar arbeiteten die Mannschaften von Ziemann und Schloßbrauerei Hand in Hand, um den Neubau umzusetzen, der am 3. Juli 2018 mit einer großen Feier eingeweiht wurde.
Traditionsbewußtsein innovativ gedacht
Die fränkische Braukunst kann auf eine weltweit einzigartige Tradition zurückblicken. In Franken stehen nicht nur die meisten Brauereien, sondern auch die weltweit führenden Familienbetriebe rund um die Rohstoffe Hopfen und Malz. Qualitativ hochwertiges Bier und ein verantwortungsvoller Umgang mit Rohstoffen und Natur sind seit Generationen in der DNA jeder fränkischen Brauerfamilie verankert. Nur so konnten Betriebe wie die Schloßbrauerei Reckendorf bis in die heutige Zeit bestehen. Wir greifen mit unserem Omnium-Sudhaus nicht nur diese für uns selbstverständlichen Werte auf. Wir machen uns auch die Grundlage dieses Erfolges von vor gut 200 Jahren wieder zunutze: Einen schonenden, effizienten und aromafördernden Brauprozess, bei dem der Braumeister noch ein echter Meister seines Faches sein muss und sein darf.
In jedem Körnchen Malz stecken wertvolle Vitamine, Mineralien und Proteine. Nach dem Brauen landet ein großer Teil davon mit den Trebern beim Bauern. Was heute gutes Reckendorfer Viehfutter ist, haben die Vorfahren in ihren Brauprozessen intensiver verarbeitet und damit auch mehr Gehalt in ihr Bier gebracht. Dasselbe gilt für die Nutzung der hochwertigen Bestandteile des Hopfens. Mit dem neuen Omnium-Sudhaus werden diese alten Methoden aufgegriffen und es gelingt, richtig vollwertige Biere herzustellen, die Malz und Hopfen fast alles an Aroma und Inhaltsstoffen entlocken. Damit lassen sich nun, nach über 200 Jahren − also als die Epoche des industriellen Brauwesens einsetzte − wieder „alte“, heutzutage unbekannte Biere herstellen, die geschmacklich einzigartig und inhaltlich besonders wertvoll sind.
Informationen: SCHLOSSBRAUEREI RECKENDORF, Braumeister und Geschäftsführer Dominik Eichhorn, Mühlweg 16, 96182 Reckendorf, Tel: +49 (0) 9544 94 21-0, Email info@recken.de, https://www.recken.de
Datum - Zeichen
18. August 2018 - 6.956
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